Literaturwissenschaft

 

 

Literatur von und über Roma

Ein Streifzug durch Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Fremd- und Selbstdarstellungen der Roma in der Literatur
von Katharina Janoska

 

Roma alias „Zigeuner/innen“ sind im Figurenkabinett der Weltliteratur häufig anzutreffen: Vom „arbeitsscheuen Dieb“ bis zur „zukunftsweissagenden Hexe“ bevölkern sie viele Texte – mit realen Roma und deren tatsächlichen Lebenssituationen haben die durch die Literatur der vergangenen Jahrhunderte entscheidend mitgeprägten Klischees aber selten zu tun. In ihrem Streifzug durch Fremd- und Selbstdarstellungen der Roma in der Literatur geht Katharina Janoska den Wechselwirkungen zwischen literarischen Beschreibungen und gesellschaftlicher Diskriminierung nach. Ausgelotet werden in ihrer Betrachtung von Texten über Roma und von Roma auch Unterschiede und Gemeinsamkeiten

 

LexLiszt 2015, erhältlich hier: http://www.lexliszt12.at


 

 

 

 21.-25. September 2015
Tagungsband der Schlaininger Stadtgespräche

 

Literatur von und über Roma

 

Katharina Janoska

 

 

 

In diesem Beitrag geht es zum einen darum, einen Überblick über die Fremd- und Selbstdarstellung der Roma in der Literatur zu geben, und zum anderen werden die verschiedenen Typen dieser Fremd- und Selbstdarstellung herausgearbeitet und diese auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht. Hierbei stehen sich jeweils vier Typen gegenüber. Aufseiten der Fremddarstellung: die Märchengestalt, der Schicksalsbote, die Verführerin und die Außenseiter. Aufseiten der Selbstdarstellung: das mystische Zaubermärchen, der Leidensweg, das Roma-Sein und die Klarstellung. Die vorliegende Untersuchung baut auf der Theorie auf, dass die Literatur und vor allem die diskriminierenden und rassistischen Fremddarstellungen der letzten Jahr- hunderte sehr viel zu den Vorurteilen der Menschen über Roma beitrugen und somit auch großen Einfluss auf das soziale Leben der Roma und deren Verfolgung ausübten. Dieser „Leidensweg“ wiederum hatte großen Einfluss auf das literarische Schaffen der Roma, welches sich in den Motiven der Roma-Literatur widerspiegelt. Somit entsteht eine Art Kreislauf.

 

Auszug:

 

Roma Literatur

 

Geschichtliches

 Bei der eigentlichen Volksliteratur der Roma handelt es sich um mündliche Übertragungen und umgestaltete Dichtungen einer verklungenen Zeit. Diese Literatur manifestiert sich vor allem in Mythen, Volkssagen, Volksmärchen, Schwänken, Sprichwörtern und Volksliedern, also in Literaturformen, die – auch wenn heute nur noch in beschränktem Maße – in mündlicher Überlieferung weiterleben. Als Begründer der schriftlichen Roma-Literatur gilt John Bunyan (1628–1688). Zwar werden seine Werke – das bekannteste The Pilgrim’s Progress (1678) bis heute der englischen Literatur zugeordnet, aber Bunyan, Sohn eines Kesselflickers, der zeitweise selbst diesem Gewerbe nachging, war Rom.

 

 

Motive der Roma Literatur

 Festhalten lassen sich in der Literatur der Roma folgende Themen: mystische Zaubermärchen, der Leidensweg (vor allem wird hier Bezug genommen auf die Verfolgung und Ermordung der Roma im Zweiten Weltkrieg), das Roma-Sein an sich (hier geht es vor allem darum, wie man als Roma ohne Heimatland im Geburtsland lebt, ohne wirklich dazuzugehören) und Klarstellungen (das Leben als Roma wird entmystifiziert und ohne Kitsch geschildert).

 

  Mystische Zaubermärchen

 Die mystischen Zaubermärchen entstammen, wie bereits erwähnt, aus der mündlich überlieferten Literatur der Roma. Bekannte Beispiele hierfür wären unter anderem das schon angeführte Werk Les Ursitory von Matéo Maximoff und Märchen der langen Nächte (1995) von Menyhert Lakatus. Beide Werke verarbeiten das Thema der Zauberei, den Kampf eines Rom gegen böse Zauberer und Hexen oder die eigenen magischen Kräfte der Roma selbst. Diese Märchen stehen an der Grenze zwischen Roma-Tradition und den Stereotypen, die Nicht-Roma in ihren Werken publizierten.

 

 Der Leidensweg

 Der Leidensweg ist ein sehr häufig vorkommendes Thema in der Literatur der Roma. Besonders wichtig war in Österreich das Werk von Ceija Stojka. Sie war die erste Romni in Österreich, die mit Wir leben im Verborgenen – Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin (1988) die Verarbeitungsliteratur der Roma ins Leben rief. Sie war die Erste, die darauf aufmerksam machte, dass auch Roma den Nationalsozia- listen zum Opfer fielen und man diese Tatsache nicht vergessen dürfe.

Ihr Werk gilt nach wie vor als eine Art Mahnmal für eine schreckliche Ideologie, die in manchen Köpfen noch immer fortbesteht.

 Das Volk der Zigeuner, mit seiner Jahrhunderte alten Kultur, ist im Begriff, unterzugehen. Der Druck der Anpassung an unsere Industriegesellschaft setzt den Zigeunern, die ursprünglich Nomaden sind, mehr zu, als jedem Ausländer oder jeder anderen Minderheit in der BRD. Sie verlieren ihre Gebräuche, ihre Sitten, ihre Sprache, ihre Kultur und schließlich ihre Identität. Was der Nationalsozialismus mit seiner brutalen Vernichtungsmaschinerie nicht ganz vollenden konnte, vollzieht sich heute lautlos in unserer verwalteten Gesellschaft.12

 Obwohl das Buch Zigeuner heute 1979 erschienen ist – also vor über 30 Jahren, besitzt dieses Zitat immer noch eine schockierende Aktualität.13 Das überaus Schockierende dabei ist, dass, egal in welche Richtung Europas man hierbei den Blick wendet – ob nach Ungarn, in die Slowakei, nach Tschechien, Rumänien oder Frankreich, Großbritannien oder Italien –, sich überall das gleiche Bild von Diskriminierung und systematischer Vertreibung bietet. Sogar die Hymne der Roma, Djelem Djelem, nimmt Bezug auf dieses  Thema.

 

 In Gedenken an die Verfolgung durch die Ustascha-Milizen (auch schwarze Legion genannt) entstand dieses Lied. Der Text war ursprünglich ein Gedicht, welches von Žarko Jovanović 1969 verfasst wurde. Seit 1971 ist Djelem Djelem die offizielle Hymne der Roma. Der Inhalt des Textes setzt sich mit dem Völkermord auseinander und auch das stellt tragischerweise eine Verbindung zwischen den Roma her. Dies ist schon sehr bezeichnend: das Thema der Ermordung des Volkes im Nationalsozialismus als Hymne, die alle Roma miteinander verbindet.

 

Das Roma-Sein

 Abgesehen von den vorher erwähnten Stereotypen, die es seit Jahrhunderten über Roma gibt, bedient man sich heute (vor allem in den Medien) jenes Vorurteils, dass das Roma-Sein immer mit Armut und Leiden verbunden ist. Der bekannte „Leidensweg der Roma“ wird des Öfteren jedem mit entsprechender Herkunft angedichtet. Dies führt häufig dazu, dass sich viele nicht als Rom/ni bekennen wollen, um nicht auf das Klischee des „armen Zigeuners“ reduziert zu werden. Dass die Situation vieler Roma in vielen Ländern katastrophal und unmenschlich ist und auch die Anerkennung in manchen anderen Ländern das Ziel eines langen Leidensweges war, steht außer Frage. Man darf jedoch auch hier nicht verallgemeinern, das „Sich-zu-seiner-Herkunft/Abstammung-Bekennen“ geht nicht automatisch einher mit Diskriminierung und Verfolgung.Diese Thematik spiegelt sich dementsprechend oft in der Literatur der Roma wie- der, wie zum Beispiel in Hundert Jahre und ein Tag von Bert Pertrup, Rund um meine Eltern eine Burg(2009) von Mircea Lacatus und in verschiedenen Gedichten von Nedjo Osman (z. B. Es ist nicht leicht Zigeuner zu sein, 2006), Jovan Nikolić  (z. B. Weggang,2004), Ilja Jovanović und Mariella Mehr.

 

12     Anita Geigges/W. Bernhard Wette, Zigeuner heute: Verfolgung und Diskriminierung in der  BRD;  eine  Anklageschrift,  Bornheim-Merten  1979, 33.

13     Im Zitat wird erwähnt, dass die Roma ursprünglich Nomaden waren; dies trifft, wie schon häufiger erwähnt, nicht auf alle zu.

 

 Die Klarstellung

 Das nächste Thema – die Klarstellung von Stereotypen – geht Hand in Hand mit der eben erwähnten Thematik. Erklärt man das Leben als Rom/ni, so geht dies einher mit der tatsächlichen Darstellung der Realität, welche natürlich auch oft von Armut und Ausgrenzung gekennzeichnet ist. Am deutlichsten lässt sich dies in Als ich noch Zigeuner war(2006) von Tamás Jónás erkennen.  Die Frage, die sich hierbei stellt: Wie schwierig ist es, als Rom/ni zu schreiben? Roma sind heute noch vielen der schon erwähnten Vorurteile ausgesetzt, was bedeutet dies für einen Autor? Wird er nicht ständig genötigt, klarzustellen, zu berichtigen und sich gegen alte Klischees zu wehren?  Die Entscheidung, in der eigenen Sprache, dem Romanes, zu schreiben, heißt auch, dass man für eine relativ kleine Gruppe von Lesern schreibt. Schreibt man in der jeweiligen Landessprache, so spricht man zwar eine größere Leserschaft an, jedoch schreibt man nicht mehr in der eigenen Sprache. Das Romanes wird in den meisten Fällen also auf den „Privatgebrauch“ beschränkt und findet kaum öffentlichen Anschluss.

 

Dies führt wiederum dazu, dass man vielleicht in einer Sprache schreiben muss, die eben nicht die eigene Muttersprache ist (also nicht Romanes). Eine Art Selbstübersetzung findet hier statt; welchen Einfluss dies auf das Schreiben und die Literatur hat, bleibt fraglich.  Ein weiteres Problem, welches sich hierdurch ergibt, ist, dass sich nie wirklich eine Art Nationalliteratur der Roma ergeben kann, wenn nichts bzw. wenig in Romanes publiziert wird. Oft erscheinen zum Beispiel Gedichtbände zweisprachig, in Roma- nes und der jeweiligen Landessprache.

 

Zigeunerbilder im Wandel ?

 

 Der  Wandel  in  der Literaturwissenschaft –„Zigeunerbilder“ als  dunkler Fleck in  der  Literaturgeschichte

 Nun zur Frage, inwieweit sich das Bild der Roma in der Literatur der Nicht-Roma verändert hat. Im Großen und Ganzen lässt sich ein starker Wandel feststellen. Die Literaturwissenschaft selbst wendet sich immer mehr auf kritische Art und Weise der stereotypen Darstellungsweise der Roma in der Literatur der vergangen Jahr- hunderte zu. Die Wissenschaft hat die Missstände erkannt und stellt sie in zahlreichen Werken an den Pranger. „Zigeunerbilder“ werden analysiert und klargestellt. Roma haben nun auch in der Wissenschaft eine Stimme bekommen, auch wenn es in den meisten Fällen nicht ihre eigene ist, denn vor allem Nicht-Roma-Autoren sind Verfasser jener Werke. Doch wichtig ist und bleibt diese Arbeit trotzdem, unabhängig davon, welche Herkunft der Autor hat. Die Literaturwissenschaft arbeitet nun die Vergangenheit auf und berichtet von den Roma nicht mehr als eine Art Fabelwesen, sondern als Menschen. Einer der bekanntesten Literaturwissenschaftler, ein Vertreter der Volksgruppe der Roma, ist – wie schon erwähnt – Rajko Djuric. Er setzt sich als einer der wenigen Roma mit diesem Thema auseinander.

 

 

Belletristik: „Zigeuner“ als Metapher für Armut und Magie

 In der Belletristik wird heute bzw. seit den letzten Jahrzehnten bis auf wenige Aus- nahmen auf „Zigeunerbilder“ und „Kunstzigeuner“ verzichtet. Trotzdem lassen sich in einigen Werken immer noch sowohl die Fremdbezeichnung „Zigeuner“ als auch die stereotype Darstellungsweise finden. Zum Beispiel Paulo Coelho: Die Hexe von Portobello (2006), Friedrich Christian Delius: Der Spaziergang von  Rostock nach Syrakus (1998) und Josef Winkler: Natura Morta (2004). Dies soll   nur ein kurzer Abriss der Entwicklung der Darstellungen der Roma in der Literatur sein.

 

Es lässt sich größtenteils eine positive Entwicklung in der Darstellung der Roma (also hin zu mehr Realismus und weg von Stereotypen) ausmachen, die hier angeführten Beispiele gehören freilich zu den negativen. Sie sollen hier nur kurz angeführt werden, um zu verdeutlichen, dass der Antiziganismus immer noch in der Literatur  anzutreffen ist.

 

Fazit

 Am Beginn des Schlusswortes sollte die Frage stehen: Was sind Roma und was sind „Zigeuner“? Handelt es sich bei diesen Begriffen um dieselbe Gruppe von Menschen? Ich persönlich würde diese Frage mit „nein“ beantworten. In diversen Beispielen wurde gezeigt, welches Bild Autoren und Dichter vom „Zigeuner“ hatten und teilweise immer noch haben. Dieses Bild liegt fernab von jeglicher Realität und dies ist mit gesundem Menschenverstand zu erkennen. Keiner kann davon ausgehen, dass es Menschen gibt, die zaubern können, irgendetwas Magisches an sich haben oder denen etwas, wie z. B. Musikalität, hellseherische Fähigkeiten usw., in die Wiege gelegt wurde. „Zigeuner“ sind literarische Konstrukte und gesellschaftliche Phantasien, denen nie ein echter Mensch gerecht werden könnte.

 


 


ISBN: 978-3-85476-391-8

Wien, 2012

 

NICHTS ALS BELEIDIGUNG

 

KONTINUITÄTEN DER ROMANTISIERUNG UND ABWERTUNG

 

VON ROM_NIJA IN SCHLAGER, POP UND RAP

 

KATHARINA JANOSKA

 

 

 

Rom_nija werden in kulturellen Darstellungen immer wieder Opfer von Rassismus, sei es durch Überhöhung oder durch Abwertung. In Bezug auf Literatur wurde in den letzten Jahrzehnten vieles aufgearbeitet und klargestellt. Anders in der Populärmusik. Im Folgenden soll exemplarisch über die Fremddarstellung der Rom_nija in Liedtexten des 20. und 21. Jahrhunderts diskutiert werden. Im Vorfeld müssen dazu einige Dinge geklärt werden. Erstens: Es wird dezidiert unterschieden zwischen der Eigenbezeichnung Rom_nija und der Fremdbezeichnung ,Zigeuner'. Ersteres ist der Name der Volksgruppe selbst, letzteres ein Konstrukt, das über Jahrhunderte hinweg mehr und mehr rassistisch aufgeladen wurde. Da diese Fremdbezeichnung vor allem in den Liedtextbeispielen häufiger Vorkommen wird, die mittransportierte Beleidigung aber nicht permanent wiederholt werden soll, wird sie hier durch das Kürzel Z- bzw. im Englischen durch G. ersetzt.

 

Zweitens soll geklärt werden, wie die Konstruktion Z- in der kulturellen Darstellung entstand. Die Wurzeln sind in der Literatur zu finden. Rom_nija waren kurz nach ihrem Auftreten in Europa grausamen Sanktionen, Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt. Das Leben am Rand der Gesellschaft und das Unwissen der Mehrheitsgesellschaft über eine als fremd konstruierte Kultur boten fruchtbaren Boden für viele Autor_innen. Rom_nija und anderen an den Rand Gedrängten konnte vieles angedichtet werden, da man wenig über sie wusste, und vor allem, weil sie selbst die literarischen Irrtümer nicht klarstellen konnten. So wurden aus den Rom_nija Z- gemacht, ohne dass sie sich dagegen wehren konnten. In der Literatur wurden sie romantisiert und in der Realität verfolgt.

 

Wer kennt nicht die Z- als leidenschaftliche Verführerin, deren Schönheit niemand widerstehen kann? Die alte, weise Wahrsagerin, die aufgesucht wird, um das Schicksal zu wenden? Oder den wilden, freiheitsliebenden Teufelsgeiger? Aber auch die kriminelle, gesetzlose, beinahe zum Monster degradierte Figur? Hierbei handelt sich durchwegs um literarische Konstruktionen und mediale Bilder, die den Rassismus der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Rom_nija stärkten. Stereotype Eigenschaften wurden auf eine gesamte Volksgruppe umgelegt. „Ihre  ,gesellschaftliche Konstruktion' als soziale und ethnische Außenseiter, als Träger einer unveränderlichen Fremdheit, als Symbol des Nicht-kulturierbaren, Wilden, und - nicht zuletzt - als Repräsentanten der Natur macht sie zu einem romantischen Thema par exellence, das überdies durch die Vielfalt der in der Diskussion über sie aufgeworfenen historischen Unklarheiten, Herkunftsspekulationen und Deutungen eine künstlerische Herausforderung bietet." (Kugler 2004: 113 f.).

 Die Entwicklung in der Literatur ist im Laufe des letzten Jahrhunderts vorwiegend positiv. Auf den Z- als literarisches Mittel wird weitgehend verzichtet. Zu den negativen Ausnahmen gehören zum Beispiel Paulo Coelhos Die Hexe von Portobello und Josef Winklers Natura Morta. Coelho dichtet seiner Protagonistin Athena, einer Romni, übersinnliche Fähigkeiten wie Wahrsagerei an, die sie aufgrund ihrer Abstammung besitze. Winkler zeichnet ein anderes Bild, wenn er die Piazza Vittorio Emanuele in Rom beschreibt: Er verwendet durchgehend die Bezeichnung Z. und führt sämtliche altbekannte und rassistische Vorurteile an -  wie selbstverständlich wird Z. assoziiert mit Gesindel, Schmutz und Armut. In der kritischen Literaturwissenschaft wurde sich der rassistischen Missstände angenommen und solcherlei Beschreibungen von Rom_nija zum ,misslichen Kapitel' der Literaturgeschichte erklärt. Ein Bereich, in dem sich rassistische und stereotype Beschreibungen von Rom_nija weiterhin hartnäckig zu halten scheinen, sind Liedtexte.

 

Verarbeitung ,romantischer' Stereotype

 In vielen Texten werden Vorurteile aufgegriffen, um eine romantische und zauberhafte Kulisse zu kreieren. Ist das getan, wird postwendend versucht, die offensichtlichen Stereotype zu relativieren, indem die lnterpret_innen sich selbst als Rom_nija imaginieren. Sie singen in der Ich-Form, bezeichnen sich selbst als Rom_ni -das lässt diese Imaginationen jedoch auch nicht wahrer werden.

 Ein frühes Beispiel ist Vico Torrianis (1920 -1998) Du schwarzer Z-(1953), der Text stammt vom tschechischen Militärmusiker Karel Vacek (1902 -1982). Der Titel wurde in den darauffolgenden Jahren noch von weiteren Sänger_innen interpretiert (unter anderem im Jahr 2009 (!) von Peter Sebastian in einer Schlagerrevue in einem Lokal mit dem vielsagenden Namen Kuhrausch in Altenbeken/ BRD). Schon allein die Namensgebung des Liedtitels beinhaltet eine rassistische Abgrenzung der Weißen Produzent_innen: ,Schwarz' als Beschreibung der Hautfarbe von Rom_nija. Das Konstrukt des Z-ist im Liedtext leicht zu erkennen: Er spielt Geige und besitzt eine Art magische Kraft, die zu vergessen hilft. Dasselbe Stereotyp lässt sich bei Alexandra (Doris Nefedov, 1942 -1969) finden, die 1968 das Lied Z-junge veröffentlichte. Besagter Junge spielt diesmal statt Geige Gitarre.

 Eines der am weitesten verbreiteten Bilder ist wohl jenes des um das Lager­feuer hüpfenden, tanzenden, wilden Z-. Ebenso gern werden Nicht-Sesshaftigkeit und Freiheitsliebe bedient. Wann konnten im Zuge der Diskriminierungen und Verfolgungen Rom_nija je Freiheit genießen? Natürlich gab und gibt es Rom_ nija, die ein Nomad_innenleben führten, doch der Grund dafür ist nicht die ihnen angedichtete Liebe zur Freiheit. In den meisten Fällen wurden Rom_nijn vertrieben, hatten also nicht die Möglichkeit, sesshaft zu werden. Oftmals konnten sie aus beruflichen Gründen nicht an einem Ort bleiben. Und gleichzeitig gibt es viele, die schon seit Jahrhunderten sesshaft sind.

 Am Rande sei erwähnt, dass sich beide zitierten Lieder mehrere Wochen in den deutschen Charts hielten, ohne für großes Aufsehen zu sorgen. Keine_r fand es wohl anstößig oder falsch, rassistische Fremdbezeichnungen zu verwenden und Jahrhunderte alte und unwahre Vorurteile weiter zu verbreiten.

 

Selbstdarstellung als Rom_ni

 Zwei Lieder aus der Popmusik sollen hier als Beispiel dafür dienen, wie sich Interpretinnen selbst als Romnija bezeichnen, die in Wahrheit keine sind und dabei wiederum viele der schon bekannten Klischees anwenden.

 Der erste Titel ist G-, Tramps and Thieves der US-amerikanischen Sängerin Cher. Er war die erste Single-Auskopplung ihres 1971 veröffentlichten Albums Cher. Nach dem großen Erfolg der Single wurde auch das Album in G-, Tramps and Thieves umbenannt. Geschrieben war das Lied von Bob Stone als G-, Tramps and White Trash worden. Geändert wurde der Titel des Songs erst kurz vor der Veröffentlichung auf Drängen des Produzenten Snuff Garrets.

Warum der Titel geändert wurde, ist nicht bekannt; vielleicht, weil man der Meinung war das Thieves (Diebe) besser zum Bild von Rom_nija passen würde. Die im ursprünglichen Titel vorkommende Bezeichnung White Trash bezieht sich auf einen in den USA geprägten klassistischen Begriff, der die Weiße Unterschicht bezeichnet.

Altbekannte Stereotypen wie der Wanderzirkus, Frauen, die für Geld tanzen und Gadsche (Nicht-Roma) betören, finden hier Platz. Die Wörter Z-, Landstreicher, Diebe werden in einem Atemzug genannt, als wären sie selbstverständlich untrennbar miteinander verbunden. So wird im Text etwa beschrieben, dass die Mutter der Interpretin für die Einheimischen für Geld tanzte; auch wird von mangelnder Bildung gesprochen und wie ihr Kind im Wanderzirkus geboren wird und sie nun wie ihre Mutter für Geld tanzen müsse. Wieder wird ein falsches und rassistisches Bild gezeichnet -anstatt den Rassismus zu benennen. Die Bedeutung, die Bob Stones Titel und Text noch hätte haben können - dass die weiße Unterschicht als G-,beleidigt' wurde-, dieser doppelte Widerspruch von Klassismus und Rassismus also geht somit völlig verloren.

 

Ein weiteres Beispiel von einem Liedtext, in dem ungeniert ein Identitätswandel betrieben wird, ist G-von der kolumbianischen Pop-und Rocksängerin Shakira. Der Song wurde am 22. Februar 2010 als vierte Single-Auskopplung des Albums She Wolf veröffentlicht. Laut Interpretin, die den Text selbst verfasst hatte, gab sie dem Lied seinen Titel, weil sie selbst sehr viel reisen würde und sich daher als Z-fühle. Weiters erklärte Shakira, dass Rom_nija ihrer Meinung nach „Reisende des Lebens" wären, die sich in jeder Kultur anpassen könnten und diese in sich aufsaugten. Vielleicht erklärt diese Sichtweise auch folgende Zeilen:

 "cause I'm a g-are you coming with me?

I might steal your clothes and wear them if they fit me Never made agreements just like a g-"

Romni-Sein wird von Shakira gleichgesetzt mit Reiselust, Freiheitsdrang, und natürlich dürfen auch der Hang zur Kriminalität und die Unfähigkeit zur Stabilität nicht fehlen.

Die Frage, die sich stellt, ist ganz simpel: Wie kann so etwas im 21. Jahrhundert nicht zuletzt mit dem Wissen über das 20. -möglich sein?

 

Rassistische Beschimpfungen

 War es in den Beispielen aus Schlager und Pop noch eher romantisierender Rassismus, so findet sich in manchen Beispielen des schlechten deutschen Rap eine weitaus brutalere Darstellungsweise. Z- wird hier unverhohlen als Schimpfwort verwendet. Besonders der deutsche Rapper Bushido, dessen Texte, am Rande erwähnt, frauenfeindlich, homophob und rassistisch sind, verwendet häufig den Ausdruck Z- als Beschimpfung. Ob die Anfeindungen Rom_nija gelten oder ob der Begriff als Bezeichnung für eine bestimmte Klasse zu verstehen ist, bleibt offen. Da aber Z- die Fremdbezeichnung für Rom_nija ist, zielt der Begriff, ob nun gewollt oder nicht, genau auf sie ab. Unter anderem handelt es sich um Bushidos Vaterland (2003), Besoffene Kinder (2005) und Alphatier (2006). Hier ein Auszug aus Besoffene Kinder:

 "Ich bin nicht prirnitiv deine Eltern sind Z-,

sei du selbst zieh mit deinen Eltern um die Häuser."

 Hier findet sich ebenso wie in den Texten zuvor eine Anspielung auf altbe­kannte Rassismen. In der letzten Zeile wird das deutlich: Es scheint als würde Bushido, der sich selbst als  ,nicht primitiv' imaginiert, davon ausgehen, dass, um die Häuser ziehen' eine Eigenschaft der Rom_nija sei, die, wenn man als Rom nur ,man selbst' sei, zu Tage treten würde. Auch in Vaterland zeichnet sich ein ähnlich rassistisches Bild ab: ,,Du Z- / das Ghetto hat keinen Platz für dich" (Bushido 2003, Nr. 5). Das Ghetto soll hier wohl die Vorstadt bezeichnen, den urbanen Raum einer armgemachten Klasse. Allein die Klassizierung von Romn_ija ist rassistisch genug - dazu kommt die Konnotation, die,Ghetto' nach dem National­sozialismus in Deutschland und Österreich nur haben kann. Dass die Verfolgten des NS tatsächlich in Ghettos gesperrt und ermordet wurden, spielt in Bushidos Denken keine Rolle.

 Es würden sich noch viele Beispiele finden lassen - in der Literatur ebenso wie in Liedtexten - die Rom_nija auf rassistische oder klischeehafte Weise darstellen. Erwähnt wurden hier etwa keine neonazistischen Bands, die menschenverachtende Texte schreiben und vertonen - ihnen soll kein Platz eingeräumt werden.

 

Ambivalenzen

 Ein Text, der am Ende noch erwähnt werden soll, da er die ambivalente Haltung, die Rom_nija sowohl im realen Leben als auch in der Kunst entgegengebracht wird, beschreibt, ist Z- von der steirischen Männerkombo STS (bekannt für so genannte Austropop-Hits wie Fürstenfeld und Großvater). Veröffentlicht wurde der Titel 1985 auf ihrem Album Grenzenlos, das in Österreich 48 Wochen auf Platz 1 der Charts war. Der Text wurde von dem Bandmitglied Schiffkowitz (Helmut Röhrling) verfasst. Zu Beginn werden sämtliche Vorurteile aufgezählt: grenzenlose Freiheit, Freiheitsdrang, ums Feuer tanzen, das Leben in Wohnwagen, hellseherische Fähigkeiten usw. In der letzten Strophe kippt dieses Bild jedoch, an seine Stelle tritt die Realität. Das Leben als Rom, die Diskriminierung und Ausgrenzung wird hier beschrieben, ebenso wie die negativen Stereotypen.

 

A Z- möcht i sein

A Z- sein, das wär fein.

[…]

In Oberwart tät i im Ghetto leben

Gleich hinter’m Sturzplatz, das wär wirklich schön

Im Wirtshaus hörert i „Schleich di!“

Z- kommen da net eina.

Es heißt, Z- lügn und stehln

Sind arbeitsscheu, dafür mit'n Messer schnell

Meine Eltern wär'n vergast word'n im KZ

A Z-sein wär wirklich nett.

 

Oberwart (dt.)/Felsöör (ungar.)/Erba (rom.) ist eine mehrsprachige Kleinstadt in Ostösterreich. Zehn Jahre nach Erscheinen des STS-Albums wurden dort am 5. 1 Februar 1995 die vier Roma Peter Sarközi, Josef Simon, Ervin und Karl Horvath durch eine Rohrbombe getötet. Sie waren dabei, ein Schild mit rassistischen Beschimpfungen zu entfernen, das an der Bombe angebracht war.

 

Literaturverzeichnis

Coelho, Paulo, 2007: Die Hexe von Portobello. Aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer­Minnemann. Diogenes Verlag, Zürich

Kugler, Stefani, 2004: Kunst-Zigeuner. Konstruktionen des ,Zigeuners' in der deutschen Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Literatur, Imagination, Realität; Bd. 34), Wissenschaftlicher Verlag Trier, Trier

Winkler, Josef, 2004: Natura Morta. Suhrkamp, Frankfurt/Main

 

Songtexte

Hans  Blum {Autor), Alexandra {Interpretin), 1967: Zigeunerj11nge (Single), Philips Records, Baarn

Bushido {Autor/Interpret), 2006:  Alphatier, auf: Von der Skyline zum Bordstein zurück, ersguterjunge/Universal, Berlin, Nr.10

Bushido  (Autor/Interpret), 2003: Vaterland, auf: Vom Bordstein bis zur Skyline, Aggro Berlin, Berlin, Nr. 5

Bushido  (Autor/Interpret), 2005: Besoffene Kinder, auf: Carlo Coxx N11tten II, ersguterjunge, Berlin, Nr. 12

Schiffkowitz (Autor), S.T.S. (Interpret), 1985: Zigeuner, auf: Grenzenlos, Polydor (Universal), Nr. 5

Shakira, Amanda Ghost, Ian Dench, Carl Sturken und Evan Rogers (Autor_innen), Shakira (Interpretin), 2010: Gypsy, auf: She Wolf, Epic Records, New York, Nr. 7

Bob Stone (Autor), Cher (Interpretin) 1971: Gypsy, Tramps and Thieves, auf: Gypsys, Tramps and Thieves, Kapp Records (US)/MCA Records (UK), Nr.2

Karel Vacek (Autor), Vico Torriani (Interpret), 1953: Du schwarzer Zigeuner, Decca Records

 

das Buch ist hier erhältlich: http://www.mandelbaum.at/buch.php?id=509

 

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